Martin trifft Frau mit Rollstuhlvelo
Wir müssen helfen!
Reise nach Uvira, Ost-Kongo vom 15. Oktober bis 7. Dezember 2018


Liebe Bekannte, Freunde und alle anderen!
 
In diesem Newsletter möchte ich Euch von meiner neusten Reise nach Uvira erzählen, und von den Projekten, die DarsiLaMano plant. Und Euch um Eure grosszügige Unterstützung bitten, damit wir diese Projekte auch umsetzen können.

Mit herzlichem Gruss,

Martin Näf
Verein Darsilamano
PC: 60-664 010-6 
Vorspiel
Ich habe mich am 14. Oktober 2018 von Viktor in Basel-Mullhouse verabschiedet und war zwei Stunden später in Amsterdam. Ich habe mich einen Monat zuvor im Reisebüro in Basel erkundigt, dass auch Behinderte in der Zeit umsteigen können, und die Dame hat gesagt, “ja, es steht extra drauf, auch Behinderte.” Also habe ich denen “vertraut” und bin ... hängengeblieben! Wer da Schuld ist, weiss ich nicht, aber ich sicher nicht. Immerhin habe ich gut geschlafen, und vermutlich gehe ich auch jetzt nicht verloren. Man passt auf mich auf. Ich fliege einen Tag später.

Der nächste Flug nach Nairobi geht 24 Stunden später. Ich hoffe, dass es in Nairobi besser klappt als in Amsterdam. Ich habe Masemo gemailt, natürlich zu spät, da Masemo und wer noch alles am Vortag nach Bujumbura gegangen waren, um mich in Empfang zu nehmen. Wer die Kosten dort übernimmt, das geht die KLM nichts an. Aber vielleicht mich? Alle Passagiere konnten weiterfliegen, obwohl auch ich auf dem Fackl stand. Hmm, Behinderte als Beigemüse? Wie in Kongo? Ich überlege mir eine Regressforderung. Kämpfen oder untergehen!

Die ersten Tage im Kongo
In Burundi, Bujumura holten mich Masemo und Yohana ab. In Uvira wurde ich von Masemos Familie sehr herzlich empfangen. Ich wohnte die ganze Zeit, fast 2 Monate, bei ihm und der Familie. Ismael, ein jüngerer Bruder von Masemo,  und ich teilten ein Zimmer miteinander. Er hat mir immer wieder zugeschaut oder einfach vor sich hin geträumt. Wir hatten aber auch interessante Gespräche. Er ist 24 und geht in die 12 Klasse, weil er drei Jahre lang zu arm war, um zur Schule zu gehen. Er musste arbeiten. Er sagt immer wieder, ich will nach Europa, ich will nach Europa! Aber wenn ich sage, er hätte doch auch hier Chancen, etwas Sinnvolles zu tun, da ist er auch damit zufrieden, wenn es nur nicht die Armut ist, die er kennt! Im übrigen höre ich ganz selten, dass man von Kongo weggehen will, nur die Armut und die Aussichtslosigkeit, etwas zu ändern, das deprimiert sie. 
 
Alain, ein Freund von mir, und Masemo hatte ich vor 7 Jahren in Uvira kennengelernt. Sie waren damals meine Studenten und Begleiter. Alain, der jetzt in Butembo, 350 km weiter im Norden lebt, ist auch hier. Sie haben viel zu erzählen, auch und vor allem von Problemen, die sie jetzt beschäftigen.
 
In 2011 war ich in Uvira als Alain beschloss, das Studium aufzugeben und eine Schule, die "Ecole de l'Unité",  weiterzuführen, welche die Mutter in Butembo gegründet hat. Der Schule geht es gut, allerdings ... Er fing an zu erzählen. Ich will nicht alles wiederholen, weil er alles Mögliche durcheinander brachte. Erst die Toiletten, dann die Mutter, dann die Küche und die Bauerei  und wieder die Toiletten. Wir unterstützen die Schule jetzt mit jährlich 18.000 Franken. Wir können vermutlich vorläufig nicht mehr zahlen, auch wenn die Schule unbedingt renoviert werden muss.
Alain hat mir fast verboten – ich schreibe das im Dezember 2018 - die Ecole de l'Unité zu besuchen, denn es ist jetzt einfach zu unsicher. Banden von rivalisierenden Gangs kämpfen mit- und gegeneinander. Die Schule ist für eine Woche geschlossen worden, und man weiss nicht, ob sich die Situation entspannt! Auch der Präsident Kabila hat beschlossen, noch ein bisschen weiter zu regieren, nur ein kleines Weilchen lang, obwohl schon Ende 2016 die zweite Amtszeit abgelaufen ist. Ausgerechnet in Butembo hat man im Sommer 2018 überdies wieder Ebola gefunden. Die Krankheit ist höchst ansteckend. Man versucht deshalb die Personen zu isolieren, die angesteckt wurden. Aber es sind  trotzdem schon mehr als 250 Menschen gestorben.
 
Masemo hat andere, konkretere Sorgen. Er und einige andere Menschen aus dem Quartier zahlen freiwillig mehr Schulgeld, wenn sie merken, dass diese Familien - oder das was von der Familie noch bleibt - nicht mehr in der Lage sind zu zahlen. Wenn man bedenkt, das der Staat kein Geld mehr in die Schulen investiert und auch keine Löhne mehr bezahlt, dann versteht man auch die Angst der Menschen, denn die Kinder werden nur unterrichtet, wenn einer zahlt, sonst werden sie von der Schule vertrieben. Viele können gar nicht in die Schule, andere vielleicht zwei oder drei Jahre. Es reicht gerade “oui” oder “non” zu sagen. Schon als Kinder müssen sie arbeiten und das heisst, ein Leben lang arm zu sein! Sie sprechen nur Kisoaheli und vielleicht eine lokale Sprache, die die Eltern sprechen, weil sie nicht  in die Schule konnten, sie können vielleicht ein bisschen Rechnen und den Nahmen schreiben, aber die Nationalsprache ist Französisch, also auch da haben sie schlechte Karten. Wenn die Menschen merken würden, dass sie auch ohne Lehrer und Lehrerinnen, ohne Klassenzimmer und Schulbücher, ohne Abschlusszeugnisse und Diplome bestehen könnten, dann ... Aber sie glauben vielleicht noch mehr an die Schule als andere, denn was man nicht hat, das will man meistens mehr als alles andere.
 
Masemo hilft schlecht, aber er hilft realistischer als ich! Ihm ist es wichtig, dass alle eine gute Ausbildung (“Education”) erhalten, und zwar unabhängig davon, ob einer behindert ist oder nicht. Aber Masemos Vorstellung von Education ist gleichbedeutend mit Schule, da ist also noch reichlich Stoff für Diskussionen. Ja, vielleicht, denn er kann auch ganz gut unterscheiden, was ihm und den offiziellen Beamten durch den Kopf geht. Er weiss, das Hunger, zu wenig Schlaf, Malaria und andere Krankheiten wichtiger sind als Schule, aber er weiss auch, das er nicht alles zugleich verändern kann.
Die Blindenschule
Masemo, Alain und ich gehen am zweiten oder dritten Tag in die Blindenschule. Allerdings  merke ich sofort, dass es viel mehr als eine Blindenschule ist. In vier Räumen sind Küche, Konferenzraum, Spiel- und Arbeitszimmer, Sing- und Schlafraum für 10 oder mehr Menschen untergebracht. Einige Tische und andere Möbel und zweihundert Kisten aus der Schweiz sind auch da.
 
Frau Lundimu und ein Tross von alten und neuen Menschen sind im Sommer 2018 von der alten Blinden- und Taubstummenschule CEFI dahin umgezogen. “Danke Papa Martin, jetzt können wir wieder Schule geben wie es uns gefällt.” Naja, Schule geben wäre nichts für mich, jedenfalls nicht das, was man gemeinhin mit Schule geben meint. Viel lieber wäre ich frei, das zu tun was den Kindern wirklich hilft, also zum Beispiel rausgehen! Nur einen Hof oder Garten gibt es nicht. Eine Mauer gibt es, eineinhalb Meter vom Haus entfernt und verrammelt. Im Haus hat’s noch eine normale Schule. viel gemeinsames haben die blinden und sehenden Kinder aber nicht. Draussen, auf der Strasse ist mehr oder weniger laute Musik. Verkehr gibt es wenig, weil das Haus in einer Nebenstrasse steht.
 
5 blinde Kinder und zwei blinde Lehrerinnen unterrichten am Morgen Blindenschrift und alles andere was Erst- und Zweitklässler lernen müssen oder wollen. An drei Nachmittagen sind die Erwachsenen dran, Blindenschrift zu lernen. Es ist mir zu laut und zu chaotisch, also kann ich nicht sagen, was da in der Schule - auch unter denn Bänken - geschieht. Andere Dinge interessieren mich mehr: Wie steht es mit dem Hunger, der medizinischen Betreuung, mit schlafen, mit Rausgehen und spielen, arbeiten und reden? Auch therapeutische Begleitung interessiert mich, weil viele blinde Kinder innerlich sehr allein gelassen werden, jedenfalls stelle ich mir das so vor.  
 
Die zwei blinden Frauen, die sich mir vorstellen und ein bisschen von sich erzählen, sagen, sie seien nur da, um den Kindern und den Erwachsenen zu helfen, Blindenschrift zu lernen. Das erfülle sie ganz! Sie schlafen auch dort. Natürlich hätten sie es lieber, wenn sie ein Zimmer für sich hätten, aber das hat bis jetzt niemand hier. Nein, sie seien nicht viel draussen; dass sie in der Küche helfen, reden  oder sonst etwas machen, nein, das auch nicht. Lohn, das wäre  schön, aber es ist nicht drin, jedenfalls nicht jetzt. - Ich  stelle mir das Leben unter diesen Umständen sehr eintönig vor, aber vielleicht ist es für sie und für Lundimu ein wirklicher Schritt vorwärts! Insgesamt ist es eine Verbesserung, aber es genügt mir nicht, wenn ich mir vorstelle, was alles möglich wäre, wenn man mehr Geld und vielleicht auch ein bisschen mehr Kreativität und Ruhe hätte.

Die "Association Voix Aveugles" - AVA
Die Assoziation wurde im März 2011 gegründet. Ich war damals in Uvira, und einige Blinde Menschen wollten mich sehen, einen  ebenfalls blinden Mann aus der Schweiz, der alleine hierher gekommen war! Ungefähr 20 Leute kamen, und Lundimu, eine blinde Frau,  sagte am Schluss der Veranstaltung, die sie organisiert hatte, “was der kann, können wir auch”. Daheim in der Schweiz haben wir daraufhin einen kleinen Verein namens Darsilamano gegründet, und wir haben auch der AVA geholfen einiges auszuprobieren. Aber Mitte 2013 fiel ich aus, und die inzwischen gegründete Vereinigung  Darsilamano konnte für einige Zeit nicht mehr zwei Projekte, die AVA und die normale Schule von Alain Sasita unterstützen. 2016 oder 2017 haben wir dann auch die AVA wieder finanziell zu unterstützen begonnen. Im Sommer 2018 erhöhten wir den Betrag noch einmal von 4.000 auf 8.000 Franken. Damit haben wir das Limit erreicht, was wir im Moment für AVA und die Schule Alains tun können.
 
Die Assoziation war da, allen Blinden zu helfen, die Hilfe nötig hatten, und soziale Events zu organisieren, die sie untereinander näher bringen würden. AVA und Frau Lundimu haben aber im Sommer 2018 einstimmig beschlossen, der Förderung der blinden und mehrfach behinderten Kinder besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, das wir die blinden und mehrfach behinderten erwachsenen und alten Menschen in der Situation nicht allein lassen können. Aber wenn wir der Aufgabe gewachsen sein wollen, dann ist das Geld, das wir von Darsilamano jetzt zur Verfügung haben, nicht ausreichend. Auch wenn statistische Angaben für Uvira vorläufig fehlen, ist es schon jetzt klar, das unter diesen Umständen Land erworben und gebaut werden muss. Ich habe darum Masemo und Yohana gebeten, fünf geeignete Parzellen Landes anzuschauen und auch mit dem Besitzer erste Verhandlungen zu führen. Masemo hat überdies gesagt, er würde die “statistischen Erhebungen weiterführen”, die wir angefangen haben. Wenn Darsilamano sich geeinigt hat, was für eine Strategie sie in Bezug auf eine Parzelle Landes verfolgt, werde ich hoffentlich wieder zu einer auch handelnden Person.
Öffentliche Veranstaltung der AVA
Am 16. November 2018 traten die Assoziation des Voix des Aveugles, AVA, wieder einmal öffentlich auf. Ich war ein bisschen überrascht, wieviel Vorbereitung es braucht, ein solches Fest zu organisieren. In der Schweiz würde man das schneller und professioneller angehen. In Uvira müssen Mails geschrieben und persönlich abgegeben werden. Einen Computer haben die meisten noch nicht. Man geht auch zu zweit oder dritt das Hotel oder eine  Kirche anschauen; man verhandelt und man besichtigt noch eine andere Lokalität, wenn man nicht ganz zufrieden ist. Auch da kann man nicht auf einen Computer zurückgreifen! Ganz wichtig ist das Essen. Auch hochstehende Persönlichkeiten sind pikiert, wenn die Veranstaltung ohne Essen zu Ende geht. Aber Essen einzukaufen ist schwierig, denn der erste Markt hat zwar Zwiebeln, aber Brötchen hat nur ein Stand auf der anderen Seite der Stadt, wenn er auf hat und heute überhaupt Brötchen verkauft. Nach zwei Tagen habe ich genug. Ich sage Masemo, dass er mir zur Verfügung stehen muss, anstatt kreuz und quer durch die Stadt zu laufen und nichts zu finden. Ich habe von Anfang an gesagt, ich stifte 500 Dollar, aber alles andere macht ihr. Ich konnte doch nicht wissen, dass die Vorbereitungen so lange dauern. – Masemo ist nicht gestresst. Wenn ein anderer ein Problem hat oder einfach auftaucht und ein bisschen Reden will, dann redet man vielleicht eine Viertelstunde oder einen halben Tag. Auch daran muss ich mich noch gewöhnen. Im Zimmer zu sitzen und zu schmollen bringt nichts. Ich geselle mich also dazu, und wir sprechen schnell von dem, was mich interessiert!
 
Die Veranstaltung selber habe ich zum grössten Teil draussen verbracht, weil ich es drinnen nicht mehr ausgehalten habe. Zuerst zwei Stunden Musik, ich glaube, alles religiöse  Lieder, und dann Ansprachen und wieder Musik. Alle sehende Personen. Nur zwei oder drei mal waren blinde Menschen auf der Bühne und sangen.
 
Nur Damas’ Ansprache habe ich wirklich verstanden. Er sprach für meinen Geschmack ein bisschen zu lang, aber was er sagte war gut und auch sehr konkret. Er ist 17 und blind. Er sagte mir, dass er Journalist werden wolle. Am liebsten würde er in Europa studieren und dann zurückkommen und sich für andere Blinde stark machen. Wir tauschen Email-Adressen aus. Er sagt nebenher, “noch kein Blinder ausser mir hat eine Email-Adresse. Es interessiert sie einfach nicht.”
Ich habe nach der Veranstaltung erfahren und das weckt in mir Hoffnungen: Die Verantwortlichen haben jetzt vor, einmal in der Woche eine halbstündige Radiosendung zu machen, die, von blinden Menschen moderiert, Themen aufgreift, die den Blinden am Herzen liegen. Also hat das drum und dran schliesslich doch etwas bewirkt, und Masemo hat recht, dass er die Leute interviewt und viele Fotos gemacht hat.
 
Ein Anfang von statistischer Erhebung der Blinden und mehrfach Behinderten in Uvira
Am Freitag ist in einem Quartier Uviras der Tag für die Bettler, und Masemo und ich gehen hin. Man trifft nicht so viele Bettler auf der Strasse wie am Freitag!
 
Masemo sagt, "wir sind hier, weil wir mehr über die Bettler und das Betteln erfahren möchten." Dann erklärt Masemo, die andern Fragen. Ich verstehe zwischendurch “aveugle” und “ces de homme comme nous”, weil es viel zu laut ist. Klar, wir sind auf dem Marktplatz, und wenn es dort nicht laut zugeht - Menschen und alle 10 Meter eine ohrenbetäubende Musik -, dann ist Afrika nicht mehr Afrika. Also habe ich trotzdem das Gefühl, dass wir genau das machen, was wir vorhatten. Das Gespräch über Statistik blieb allerdings auf der Strecke.
 
Am nächsten Tag gehen Masemo, Fisherman und ich zu Fuss ein zweites Mal los. Diesmal ist es schon eher das, was ich mir als Statistik vorstelle. Ein zweijähriges Kind ist gesund auf die Welt gekommen, und drei Monate später ist der Junge blind und gelähmt. Sie sind zu arm, um einen richtigen Arzt um Hilfe zu bitten, also machen  sie ... nichts. Die Mutter sagt, ja, ich möchte schon, aber was. - Ich sage – oder habe ich es nur gedacht? –, das dringenste ist das Kind medizinisch untersuchen zu lassen. Masemo schreibt einiges auf und weiter geht’s, der Grenze Burundis zu.
 
Wir gehen fast eine  Stunde mehr oder weniger am Tankanjkasee entlang. Dann sehen wir eine alte Frau. Wir setzen uns und sie erzählt. Sie sei jetzt 6 Jahre blind. Vorher habe sie auf dem “Feld” gearbeitet. Jetzt könne sie das nicht mehr. “Ja, alte Blinde zu treffen und zu reden, das wäre toll. Aber ich kenne keinen anderen Blinden, und ich bin jetzt zu alt, wegzugehen. Es reicht noch in die Kirche.” Masemo fragt und notiert. Die Frau hat es gut zuhause, jedenfalls sieht es so aus. Aber keinen Blinden zu kennen? Was für eine enge Welt! Ich sage, es gibt in der Nachbarschaft ganz sicher einige Blinde, aber sie wissen nichts voneinander. “Blinde Menschen? In der Nachbarschaft! Ja das wäre schön!” Und wirklich: Kaum haben wir uns von der alten Frau verabschiedet, kommt uns eine Dame entgegen und sagt, sie wisse, wo es noch eine blinde Frau gäbe. Sie zeigt uns den Weg. “Es ist ein Flüchtlingscamp. “Ja, wir haben keine Hütte mehr. Der Sturm! Jetzt lebe ich und zwei andere Frauen in einem Raum zusammen. Ich habe keinen Mann mehr. Ich bin blind und ich bin alt.” Masemo schreibt immer wieder eine Telefonnummer oder anderes auf, aber alte Leute sind misstrauisch. Sie besuchen sich wahrscheinlich nicht, obwohl sie 500 Meter von einander entfernt sind.
 
Auf dem Heimweg besuchen wir noch eine junge Frau. Auch sie sieht nichts mehr. Ich bin zu kaputt, um viele Fragen zu stellen, aber Masemo ist im Element. “Name, Vorname, Geburtsdatum, wann wurden sie blind, haben sie eine Schule besucht, wie viele Jahre, können sie Blindenschrift.” Man spürt geradezu was ihn antreibt: Education! Er erklärt, auch blinde Kinder können in die Schule. Zuerst in die Blindenschule, da lernt man die Brailleschrift, dann in die normale Schule! “Einige Blinde können auch studieren, wenn man sie lässt. Wirklich, wir sind einfach der Welt hinterdrein, auch in Bezug auf die Blinden und alle, die marginalisiert werden, weil sie arm sind. Warum sind sie so arm? Die Schule ist zu teuer, man kann ein oder zwei Kinder in die Schule schicken, mehr nicht. Die Blinden lässt man halt betteln. Das muss sich ändern, sonst sind wir noch in hundert Jahren da, wo wir jetzt sind.” - Die junge Frau ist nicht überzeugt. “Man hat gesagt, ja ja, man muss sich ich-weiss-nicht-was und das war’s. Da haben die Eltern aufgegeben. Wir wussten nicht, dass es eine Blindenschule in Uvira gibt.” Masemo schreibt wieder. “Da, die Assoziation voix des Aveugles, AVA gibt es und die Prädidentin ist Lundimu. Sie wird euch weiterhelfen.”
 
Ja, die Assoziation de Voix des Aveugles, AVA, lebt noch, obwohl es zwischendurch so ausgesehen hat, dass sie ohne schweizer Hilfe wieder eingeht. Frau Lundimu hat sie gegründet, und sie führt sie bis heute. aber Frau Lundimu hat sich nicht weiter um die Ausbreitung der AVA bemüht, weil auch sie nicht wusste, wie viele Blinde und mehrfach Behinderte es in Uvira tatsächlich gibt. Die AVA hat Anfang März 2011 ungefähr 30 Mitglieder gehabt und die Zahl wuchs nicht an. Im November 2018 fing Yohana an, die Liste zu ergänzen, und potentielle AVA-Leute ausfindig zu machen. Offizielle Zahlen für Uvira gibt es nicht. Also auch da ist noch viel zu tun.
Und Alain?
Alain ist eine Woche in Uvira geblieben. Jetzt ist er  wieder in Butembo. Vorher haben wir "geschäftlich" einiges  geklärt und auch privat viel geredet. Allerdings habe ich einiges nicht so verstanden wie es Alain gemeint hat. Von Toiletten hat er zum Beispiel gesprochen. Ja, das war vor zwei Jahren. Jetzt ist es wieder ganz dringend, und zwar zwei Luxus-Toiletten! Er hat einige Fotos geschickt. Er findet, "Crowd Founding" gut! Wir könnten doch das im Internet veröffentlichen! Eine Assistentin erklärt ihm via Mail, die Sache ist nicht so einfach wie er denkt. Daraufhin Funkstille. Die Assistentin fragt nach. Keine Reaktion. Dafür kriege ich ein Mail mit der Anfrage, wieviel ich beisteuern würde, wenn er sich ein sichereres Domizil in Butembo sucht. Ich sage, "nichts", sie müssten das mit der Schule diskutieren. "Wir haben euch unter anderem mehr Geld gegeben, dass ihr auch unvorhergesehene Kosten übernehmen könnt." - Wieder Funkstille. Er hat noch einmal ein kurzes Mail Ende November geschrieben und gefragt, ob ich schon in der Schweiz sei. Ich habe es ihm gesagt, wieder keine Reaktion. - Der Mutter Alains will ich (privat) helfen, er bittet mich darum, und ich maile Alain, wo ich das Geld hinschicken kann. Aber wieder ist Funkstille. Immer wieder Funkstille und vorher ist es so dringend!
 
Ich weiss nicht wo er sich innerlich und äusserlich aufhält! Ist er gar nicht in Butembo? Haben sie vielleicht wieder einmal das Internet gekappt? Haben sie wirklichen Krieg? Ist er krank? - Jetzt ist Ende Dezember. Wo kann ich das Geld hinschicken! Ich warte. Alain hat einen Monat lang nichts mehr von sich hören lassen. 
Fisherman
Gegen Ende der zwei Monate, die ich in Kongo war, bin ich mit dem Fisherman nochmal zwei Stunden in den Strassen Uviras herum gerollt bzw spaziert. Ich hatte mich an den Sand auf den Strassen, die Menschen und die Art, wie Masemo und andere den Rollstuhl gestossen haben – immer nur auf zwei Rädern anstatt auf vieren! – gewöhnt. Ich und Fisherman kamen an einer der vielen Kirchen vorbei. Die Kirche war offen, und einer betete und gleichzeitig unterrichtete er. Ich hätte gern gewusst, was er eigentlich bezweckt. Wir haben es nicht herausgefunden, weil ich abgelenkt wurde. Drei Frauen sassen auf den Treppenstufen der Kirche und unterhielten sich. Eine- oder zwei Frauen konnten ein bisschen französisch. Ja, sie seien etwas wie freiwillige Sozialarbeiterinnen. Aber eben. Das Geld. Immer wieder das Geld.
 
Dann sassen wir auf Masemos Terasse, und er erzählte von sich und seiner eigenen Geschichte. Er sei jetzt auf dem See, also wieder ein Fisherman. “Ja, wenn ich und die Frau gesund bleiben dann geht es. Allerdings, wenn sich nichts verändert, dann ... Er seufzt ... wenn sich nichts verändert, dann können wir im besten Fall ein Kind zur Schule schicken.” Ein Kind haben sie zur Tante gebracht. “Sie ist ein bisschen gebrechlich geworden, so ist allen geholfen.” Er seufzt erneut. “Wir hatten vier Kinder, jetzt haben wir nur noch drei. Die Tante ist in einem Flüchtlingsheim.” Ich frage, wie viele Jahre sie schon dort ist. “Ich weiss es nicht, aber sicher 15 Jahre.”
 
Fisherman konnte nur 2 oder 3 Jahre in die Schule, dann musste er arbeiten. Ein oder zwei Jahre lang hat er versucht, in Südafrika Fuss zu fassen als Gehilfe eines Coiffeurs, dann ist er nach Uvira zurückgekommen und ist wieder Fisherman geworden, weil er auch da nichts verdient habe, jedenfalls zu wenig um es der Frau zu schicken.
 
Er ist ein bisschen älter – oder er scheint so - als Masemo. “Weisst du, Fisherman zu sein ist zwar schön, aber man braucht Kraft. Wir sind zu zweit. Wir gehen nur nachts raus, aber wenn der See zu unruhig ist, dann gehen wir gar nicht.” Sie haben eine Piroge, einer sitzt im Heck und einer im Bug. Sie rudern ungefähr eine Stunde, dann werfen sie die Leine aus und warten. Sie sind jetzt in Burundi. Ich weiss nicht warum, aber der See gibt offenbar mehr her als auf der Seite Kongos. 
 
Fisherman hält die rechte Hand hoch. “Siehst du, wie abgearbeitet die Hand ist. Ich habe auch nicht mehr die Kraft von früher.” Ein Mann kommt und sagt etwas, dann geht er wieder. “Mein Vater. Er trinkt, aber was kann man da machen. Er arbeitet nicht mehr, aber er ist immer friedlich.”
 
Er ist fast immer ernst. “Ich überlege, was ich machen kann. Ich rechne, ob das Geld für Medizin reicht und für die Schule und die Frau. Ich rechne, obwohl – ich rechne und rechne. Wenn ich vielleicht etwas anderes finde, aber was. Fischen, das kann ich noch vier fünf Jahre, dann kann ich es wahrscheinlich nicht mehr.” 
 
Während ich zuhöre packt mich die Sehnsucht. Ich möchte so gern auch noch mal in einer Biroge sitzen! Ich weiss nicht, wie ich es sage. Schliesslich ist es raus! Fisherman stimmt ohne Weiteres zu, und wir vereinbaren, uns am Sonntag morgen zu treffen. Während wir auf dem See sind, und es stiller und stiller wird, habe ich wieder einmal gespürt, was ich nicht mehr kann! Aber ich habe auch gespürt, was ich noch kann, zum Beispiel auf dem Tankanika-See sein, nicht im Rollstuhl, sondern in einer kleinen Piroge, 300 oder 400 Meter vom Ufer weg!, nur noch Wellen und der See.
Nachspiel 
Am morgen des letzten Tages machen wir einige Abschiedsbesuche in Uvira und dann geht’s nach Bujumura. Am Flughafen erfahren wir, dass wir zu spät sind. Oh Mist, ich frage mich, ob ich wieder einmal einen Scheiss gemacht habe. Die Götter sind irgendwie ungerecht!
 
Wir schlafen in einem Hotel. Am nächsten Morgen langweilen wir uns ein bisschen bis ich auf die Idee komme, dass wir die schweizer Cooperation in Bujumbura besuchen können. Aber ach, eine nette Dame hat gesagt, die Frau ist in einer Besprechung. Immerhin, am Samstag anstatt an Freitag dem 8. Dezember komme ich mit meines Bruders Hilfe in Basel an, gesund und voller Ideen. Ich schreibe einiges auf und warte. Der Darsilamano-Vorstand wird, das hoffe ich, bald zusammenkommen und das weitere Vorgehen diskutieren. Im übrigen bin ich zufrieden, wieder in Basel zu sein. Kongo ist nicht mehr so nah! Ich hoffe aber, es wird nicht zu fern. Wir  müssen helfen, auch in Kongo!  
 
Martin Näf, Präsident Darsi La Mano



P.S.: Im Januar 2019 hat der Vorstand Darsilamano beschlossen das Projekt mit 50.000 Franken oder mehr zu unterstützen, damit die AVA eine Parcelle kaufen und bauen kann. Je eher wir das nötige Geld zusammenhaben, desto eher können wir mit dem Bauen begingen!   



 
Verein DarsiLaMano - Helfen im Ostkongo
Postcheckkonto 60-664010-6
Tel. +41 61 556 12 23
kontakt@darsilamano.org
www.darsilamano.org
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