Ich habe nach der Veranstaltung erfahren und das weckt in mir Hoffnungen: Die Verantwortlichen haben jetzt vor, einmal in der Woche eine halbstündige Radiosendung zu machen, die, von blinden Menschen moderiert, Themen aufgreift, die den Blinden am Herzen liegen. Also hat das drum und dran schliesslich doch etwas bewirkt, und Masemo hat recht, dass er die Leute interviewt und viele Fotos gemacht hat.
Ein Anfang von statistischer Erhebung der Blinden und mehrfach Behinderten in Uvira
Am Freitag ist in einem Quartier Uviras der Tag für die Bettler, und Masemo und ich gehen hin. Man trifft nicht so viele Bettler auf der Strasse wie am Freitag!
Masemo sagt, "wir sind hier, weil wir mehr über die Bettler und das Betteln erfahren möchten." Dann erklärt Masemo, die andern Fragen. Ich verstehe zwischendurch “aveugle” und “ces de homme comme nous”, weil es viel zu laut ist. Klar, wir sind auf dem Marktplatz, und wenn es dort nicht laut zugeht - Menschen und alle 10 Meter eine ohrenbetäubende Musik -, dann ist Afrika nicht mehr Afrika. Also habe ich trotzdem das Gefühl, dass wir genau das machen, was wir vorhatten. Das Gespräch über Statistik blieb allerdings auf der Strecke.
Am nächsten Tag gehen Masemo, Fisherman und ich zu Fuss ein zweites Mal los. Diesmal ist es schon eher das, was ich mir als Statistik vorstelle. Ein zweijähriges Kind ist gesund auf die Welt gekommen, und drei Monate später ist der Junge blind und gelähmt. Sie sind zu arm, um einen richtigen Arzt um Hilfe zu bitten, also machen sie ... nichts. Die Mutter sagt, ja, ich möchte schon, aber was. - Ich sage – oder habe ich es nur gedacht? –, das dringenste ist das Kind medizinisch untersuchen zu lassen. Masemo schreibt einiges auf und weiter geht’s, der Grenze Burundis zu.
Wir gehen fast eine Stunde mehr oder weniger am Tankanjkasee entlang. Dann sehen wir eine alte Frau. Wir setzen uns und sie erzählt. Sie sei jetzt 6 Jahre blind. Vorher habe sie auf dem “Feld” gearbeitet. Jetzt könne sie das nicht mehr. “Ja, alte Blinde zu treffen und zu reden, das wäre toll. Aber ich kenne keinen anderen Blinden, und ich bin jetzt zu alt, wegzugehen. Es reicht noch in die Kirche.” Masemo fragt und notiert. Die Frau hat es gut zuhause, jedenfalls sieht es so aus. Aber keinen Blinden zu kennen? Was für eine enge Welt! Ich sage, es gibt in der Nachbarschaft ganz sicher einige Blinde, aber sie wissen nichts voneinander. “Blinde Menschen? In der Nachbarschaft! Ja das wäre schön!” Und wirklich: Kaum haben wir uns von der alten Frau verabschiedet, kommt uns eine Dame entgegen und sagt, sie wisse, wo es noch eine blinde Frau gäbe. Sie zeigt uns den Weg. “Es ist ein Flüchtlingscamp. “Ja, wir haben keine Hütte mehr. Der Sturm! Jetzt lebe ich und zwei andere Frauen in einem Raum zusammen. Ich habe keinen Mann mehr. Ich bin blind und ich bin alt.” Masemo schreibt immer wieder eine Telefonnummer oder anderes auf, aber alte Leute sind misstrauisch. Sie besuchen sich wahrscheinlich nicht, obwohl sie 500 Meter von einander entfernt sind.
Auf dem Heimweg besuchen wir noch eine junge Frau. Auch sie sieht nichts mehr. Ich bin zu kaputt, um viele Fragen zu stellen, aber Masemo ist im Element. “Name, Vorname, Geburtsdatum, wann wurden sie blind, haben sie eine Schule besucht, wie viele Jahre, können sie Blindenschrift.” Man spürt geradezu was ihn antreibt: Education! Er erklärt, auch blinde Kinder können in die Schule. Zuerst in die Blindenschule, da lernt man die Brailleschrift, dann in die normale Schule! “Einige Blinde können auch studieren, wenn man sie lässt. Wirklich, wir sind einfach der Welt hinterdrein, auch in Bezug auf die Blinden und alle, die marginalisiert werden, weil sie arm sind. Warum sind sie so arm? Die Schule ist zu teuer, man kann ein oder zwei Kinder in die Schule schicken, mehr nicht. Die Blinden lässt man halt betteln. Das muss sich ändern, sonst sind wir noch in hundert Jahren da, wo wir jetzt sind.” - Die junge Frau ist nicht überzeugt. “Man hat gesagt, ja ja, man muss sich ich-weiss-nicht-was und das war’s. Da haben die Eltern aufgegeben. Wir wussten nicht, dass es eine Blindenschule in Uvira gibt.” Masemo schreibt wieder. “Da, die Assoziation voix des Aveugles, AVA gibt es und die Prädidentin ist Lundimu. Sie wird euch weiterhelfen.”
Ja, die Assoziation de Voix des Aveugles, AVA, lebt noch, obwohl es zwischendurch so ausgesehen hat, dass sie ohne schweizer Hilfe wieder eingeht. Frau Lundimu hat sie gegründet, und sie führt sie bis heute. aber Frau Lundimu hat sich nicht weiter um die Ausbreitung der AVA bemüht, weil auch sie nicht wusste, wie viele Blinde und mehrfach Behinderte es in Uvira tatsächlich gibt. Die AVA hat Anfang März 2011 ungefähr 30 Mitglieder gehabt und die Zahl wuchs nicht an. Im November 2018 fing Yohana an, die Liste zu ergänzen, und potentielle AVA-Leute ausfindig zu machen. Offizielle Zahlen für Uvira gibt es nicht. Also auch da ist noch viel zu tun. |