Mann mit Dreirad
Liebe Alle
Zum ersten mal wieder in Kongo!
 
Ich habe es geschafft, nach Hirnschlag und Epilepsie wieder in den Kongo zu gehen. Obwohl ich nur zwei Wochen dort geblieben bin weiss ich jetzt, was zu tun ist! Aber der Reihe nach!
 
 
Visum, Lundimo und die Assoziation Voice Aveugle 
 
Ich war und bin ungeduldig, also ging ich mit nur einem Visum für Burundi versehen in den Kongo, das heisst ich wäre gerne dort gewesen, aber die kongolesischen Beamten stoppten mich, weil – ja weil ich nur ein Visum nach Burundi hatte. Burundi, Burundi? Das ist offenbar ein Staat neben Kongo. Man braucht nur 20 km, dann ist man in Kongo, aber eben, ich hatte nur ein Visum nach Burundi.

Zum Glück wartete Masemo auf mich – man weiss ja nie. Er wusste auch, dass wir vorläufig in Burundi festsassen. Also gingen wir in das Hotel soundso. schon da wäre ein ganzes Buch zu schreiben: Wie man mich aus dem Flugzeug getragen hat, wie man mich im Hotel im Rollstuhl die Treppen raus und runter befördert hat, dann die Spülung der Toilette, die nicht ging, der Ring auf dem WC, den man in der Schweiz längst weggeworfen hätte, den Tisch, der so wackelig war, dass man ihn zur Müllabfuhr gebracht hätte ... Aber gut, ich habe es ja so gewollt.
 
Am nächsten Morgen war auch Alain da, wieder eine Herzlichkeit, die mich ... nein, freuen wäre zu wenig ... Alain und Masemo schrieben immer wieder, obwohl ich vor allem 2014 und 2015 nie geantwortet habe ... Wir sassen am Tisch, erzählten, wie es uns in der letzten Zeit gegangen ist und wie wir das Problem des Visums lösen wollten. Das Visum! Es brauchte eine Woche, dann ... naja wir hatten das Visum noch nicht in der Tasche, aber ... jetzt wo wir entschlossen waren, dass ich zurückfliegen werde, da klappte es: Irgendwer hatte die Idee, dass man den-und-den fragen müsste, dann ginge es. Es funktionierte dann wirklich, und zwei Stunden später hatten wir das Visum und waren im Kongo.
 
Vorher kamen noch vier oder fünf Leute aus dem Kongo, die mich unbedingt sprechen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen wollten, dass ich wirklich wieder da war. Allerdings war das auch nicht so einfach, weil man auch dann einen Pass brauchte, wenn man nur in Burundi einen Besuch machen wollte. Und einen Besuch machte man eigentlich nicht, weil man kein Geld hatte oder weil man gar nicht daran dachte. Aber mit Hilfe Masemos und einem Foto kamen sie rüber, weil einige Sachen ganz schnell gehen, wenn man die richtigen Menschen kennt. Es handelte sich um eine Abordnung von blinden Menschen, unter anderem auch von Frau Lundimo! Dass Frau Lundimo extra rüber kam, um mich zu begrüssen, nein, dass glaubte ich nicht! Aber da war sie und eine Abordnung von blinden Menschen, die sich nach meinem Ergehen erkundigten! 2011 kamen sie, um mich, den blinden Menschen, zu bestaunen, den blinden Menschen, der aus Europa kam, den blinden Menschen, der weiss war und an der Uni in Uvira unterrichtete! Einige staunten, andere, unter anderem Frau Lundimo, sagten, was Martin macht, können wir auch! So war die Assoziation Voice Aveugle geboren. Sie erzählten, was die AVA durchgemacht hat, sie erzählten von Schwierigkeiten und Erfolgen. Lundimo ist nach wie vor die Präsidentin der Vereinigung. Wir haben die AVA bis 2013 unterstützt, und ab 2017 unterstützen wir sie wieder mit 4.000 Franken im Jahr.

Ich weiss nicht mehr wann das war, noch in Burundi oder erst in Uvira, also im Kongo, kamen wir auch auf die Blindenschule zu sprechen. Lundimo erzählte, dass sie, vielleicht weil sie vor eineinhalb Jahren ein Kind gekriegt hat, noch einmal Blindenschrift und anderes in der Schule unterrichtet habe. Aber jetzt höre sie endgültig auf, obwohl sie gerne unterrichtet. ‘Es ist eine Pseudoschule! Der oberste Chef ist nie da, er hat ein Auto und er isst reichlich und gut.’ Lundimo und der einzige andere Lehrer, Johanne, warten schon seit Monaten auf den Lohn. ‘Wenn wir aufhören, dann bricht die ganze Schule auseinander. Ich kann nicht eine eigene Schule anfangen, wenn ich neben der alten Schule wohne. Aber jetzt Umziehen geht nicht, weil ich kein Geld habe.’ ‘Wenn du Geld hättest, und umgezogen wärest, dann würde dir die Schule Spass machen?’ ‘Ja, ja, sicher.’
Korruption und Bereicherung aufgrund der Benachteiligten! - Frau Lundimo hat die schlechteren Karten. Wir müssen umbedingt mit Darsilamano sprechen. Aber wo ist Darsilamano? Wo ist Darsilamano! Wir müssen unbedingt grösser werden –, oder vielleicht nicht? Aber Sammeln, das müssen wir!
 
 
Uvira, eine Ansammlung von Hütten und wir mitten drin
 
Nach der Grenze von Burundi nach Kongo gibt es plötzlich keine geteerten Strassen mehr! Man muss aufpassen, sonst fährt man in ein Loch, oder, wenn es regnet, gibt’s eine Dusche mit kaltem Wasser. Die Häuser sind eigentlich Hütten, nur ganz schüchtern stehen ein- und zweistöckige Gebäude da. Vielleicht, in fünf oder zehn Jahren ist’s anders. Wir fahren in einem Taxi die holprige Strasse entlang, und dann sind wir da, nahe des Tanganjika-Sees.
 
Zuerst förmliche Begrüssung von der Familie, dann Besichtigung des Hauses und anschliessend –, keine Ahnung. Es ist erst zwei, da könnte man vielleicht noch raus. Alain ist höflich, aber er merkt mir an, was ich am meisten will. Alain, genau so Gast wie ich, tut etwas, was man im Kongo nicht darf. Er insistiert, und endlich dürfen wir raus. Die Strassen, Adobe-Häuser (Lehmziegel), 5, 6 Leute in einem Zimmer, ein Lehmboden oder, wenn man Glück hat, ein gemauertes Haus, grösser und komfortabler als die halb verfallenen Lehmhütten. Sie zeigen mir alles, ich kann alles anfassen, jedenfalls so weit ich greifen kann.
Dann der Markt. Ich fasse erneut an, was ich anzufassen mich traue: Die Kartoffeln, vielleicht zwanzig davon, 30 Manioks, 5 Fische, wieder 15 Kartoffeln ... Wohl ein Markt für einfache Leute, denke ich, aber wo gibt es Äpfel und Bananen und Mangos, wo sind Blumen und Pflanzen. Es gibt sie nicht, da nicht und wo anders auch nicht, ausser vielleicht ... Ich weiss es nicht. Wir begrüssen eine alte Frau, man fordert mich auf, noch einmal Kartoffeln oder einen kleinen Fisch anzufassen, alles provisorisch auf Brettern irgendwie zusammengeschustert. Noch einmal Händeschütteln, aber jetzt weg. Der Lärm und die Stimmen sind mir zu laut, das Geschrei ist mir zu viel. Ich bin in Kongo, nicht in der Schweiz, ich weiss, aber zu viel ist zu viel.
 
Ich falle auf. Zwanzig oder dreizig Kinder folgen mir, weil ich komisch bin, anders als andere. Man hat schon Weisse gesehen, aber Weisse im Rollstuhl? Und Blinde! Ich bin eine Attraktion. Ich frage Masemo, warum sie uns folgen. ‘Sie folgen dir, nicht uns.’ ‘Wieso.’ ‘Das weiss ich auch nicht, eben eine Attraktion!’ Und plötzlich sind sie weg. Es ist als ob das Territorium da aufhört, und zwar exakt da! Es ist jetzt fast zu still!
 
Wir kommen an einer Schule vorbei. Ich denke, es gibt anscheinend auch Schulen, die ruhig sind wie in der Schweiz. Was verlieren sie, wenn sie in die Schule gehen, und was gewinnen sie? Ich denke daran, dass die Belgier immer noch da sind, obwohl sie vor mehr als fünfzig Jahren offiziell abgezogen sind. Jetzt ist es ein Land, das ums Überleben kämpft, aber alle oder fast alle kämpfen den Kampf der Europäer oder der West-Europäer. Sie ziehen sich an wie Europäer, sie schlafen wie die Europäer und man bemüht sich auch zu – entschuldigt – zu scheissen wie die Europäer, obwohl man nur einmal pro Tag zwei Stunden Wasser hat! Sie hätten wahrscheinlich auch gerne einen Kühlschrank und Internet und Ferien, wo man sich erholen kann, einen Wagen möchte man auch und einen Backofen und eben eine Schule, wo man alles das lernt, was die Europäer lernen ... Ich begreife und ich begreife nicht. Sucht doch einen eigenen Weg, vielleicht einen dritten ‘Weg’ oder einen Vierten ... aber sucht ...
Ich träume und denke, anstatt die Welt so zu sehen wie sie ist, die Welt von Uvira : dreckig und armselig, heruntergekommen und ausgebeutet, Hütten anstatt Häuser, vernachlässigte Wege anstatt gepflegte Strassen. Ich wache auf. Es geht mit dem treuen Rollstuhl rauf und dann wieder runter. Jetzt sind wir an einem Fluss. Ich erkundige mich, was man da sieht. ‘Sie waschen.’ ‘Sie waschen? Am Fluss!’ Jetzt erinnere ich mich, das die Frauen in Indien genau das gleiche gemacht haben. Sie Waschen, nicht drei oder vier Frauen, sondern zwanzig oder dreissig. Einer schiebt mich zu einer Frau. ‘Kuck, das machen sie’. Ich hätte fast gesagt, warum haben sie keine Waschmaschine! Aber dann begriff ich wieder einmal, dass ich in Kongo bin, wirklich in Kongo.
 
Ich habe viel gesehen. Aber das, was mich am meisten betroffen macht sind Menschen, die ... Ich weiss nicht, wie ich es beschreiben soll: Erloschene Augen, Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Defätismus ... Einer, der mir die Hand gab, weil sie gesagt hatten, du musst dem Menschen die Hand geben, war vielleicht 7 Jahre alt. Er war blind. Sein Bauch war ganz rund. Falsch- oder Mangelernährung. Ein anderer, ungefähr 70-Jähriger Mann sagte ‘jetzt kann ich nicht mehr aufstehen, also sterbe ich’. Die Beine konnten nicht mehr. Er hatte vielleicht Muskeldystrophie oder sowas, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass er sterben wollte, nur gab es keinen Rollstuhl oder ein anderes Gefährt; es gab vor allem keine Vorstellung davon, dass “das” existierte. Er könnte raus, könnte was verdienen.
Eine alte Frau lag allein in der Hütte. Die anderen waren fort, auf dem Feld oder sie verkauften was. Sie konnte nicht mehr alleine aufstehen. Vielleicht eine halbseitige Lähmung. Wenn sie auf die Toilette gehen wollte, dann machte sie in die Hosen oder den Rock! ‘Warum helft ihr nicht’! ‘Männer dürfen eine Frau nicht anfassen’. Ich ging auch raus, und erst fünf Minuten später begriff ich die Absurdität des ganzen.
 
 
Heim und an die Arbeit
 
Ich habe genug gesehen. Ich erinnere mich, dass wir nur noch ungefähr 4.000 Franken haben, und dann wäre das Geld aufgebraucht und Darsilamano wäre tot. Also entschloss ich mich, viel früher als geplant zurückzugehen und das zu machen, was ich mir vorgenommen habe. Lundimo, Masemo und Alain haben 7 Jahre gewartet, also an die Arbeit.
 
Martin Näf
 
 
DarsiLaMano 
4000 Basel 
PC 60-664010-6
 
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